28. März 2022

Ergebnisse der Enquete-Kommission „Einsamkeit – Bekämpfung sozialer Isolation in Nordrhein-Westfalen und der daraus resultierenden physischen und psychischen Folgen auf die Gesundheit“

Auch in NRW leiden über 10 Prozent der Menschen unter chronischer Einsamkeit, ihre Zahl hat während der Corona-Pandemie stark zugenommen, so dass sich jetzt fast jede/r Fünfte isoliert fühlt.

Die Enquetekommission Einsamkeit, die vor gut zwei Jahren ihre Arbeit aufgenommen hat, legt nun ihren Abschlussbericht mit 65 Handlungsempfehlungen vor. Auf 260 Seiten haben wir als erstes parlamentarisches Gremium in Deutschland die Auswirkungen und Folgen von Einsamkeit und sozialer Isolation aufgezeigt. Mit dieser Arbeit werden sowohl den Kommunen, dem Land und dem Bund als auch Unternehmen und Verbänden  konkrete Empfehlungen und Anregungen zur Bekämpfung an die Hand gegeben.

Einsamkeit tritt in allen Altersgruppen auf. Besonders Jugendliche und junge Erwachsene, Eltern kleiner Kinder und Alleinlebende sind von einem Anstieg betroffen. Einsamkeit macht krank und kostet Geld, denn einsame Menschen haben ein erhöhtes Risiko für verschiedene psychische und körperliche Erkrankungen. Um Einsamkeit besser und schneller zu identifizieren, muss das Thema Einsamkeit und soziale Isolation stärker in den Fokus der Gesellschaft gerückt und enttabuisiert werden.

Die Arbeit der Enquetekommission stand dabei vor verschiedenen Herausforderungen: Erstens, die Themen Einsamkeit und soziale Isolation sind wissenschaftlich noch nicht umfassend untersucht. Außerdem sind in den bisherigen Studien Ältere und Hochaltrige überrepräsentiert, während Untersuchungen zu anderen potenziell vulnerablen Gruppen z. T. gänzlich fehlen. Zweitens ist bei relevanten Akteuren, Berufsgruppen und Verbänden noch kein umfassendes Bewusstsein für die Einsamkeitsproblematik vorhanden. Drittens werden Maßnahmen gegen Einsamkeit und soziale Isolation noch nicht ausreichend evaluiert.

Einen Überblick über die wichtigsten Handlungsempfehlungen und unsere Sondervoten haben wir hier zusammengefasst:

Handlungsempfehlungen

  • Die Prävention und Bekämpfung von Einsamkeit und sozialer Isolation fest im Regierungshandeln zu verankern und die Stelle einer Einsamkeitsbeauftragten bzw. eines Einsamkeitsbeauftragten einzurichten, die dies zentral koordiniert und alle Akteure aus Kommunen, Wissenschaft, Sozialer Arbeit und dem System der Gesundheitsversorgung, etwa Hausärzt*innen, Pflegediensten und Psychotherapeut*innen vernetzt.
  • Die Enquete-Kommission empfiehlt zu prüfen, ob es sinnvoll ist, Leistungen der Vereinsamungsminderung und -prävention auf kommunaler Ebene als Pflichtaufgabe festzuschreiben. Dabei ist von Seiten des Bundes und des Landes sicherzustellen, dass die Kommunen dafür ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung haben. Weiterhin soll geprüft werden, wie die Verantwortlichkeit für das Thema Einsamkeit auf kommunaler Ebene unter Berücksichtigung der kommunalen Selbstverwaltung verankert werden kann. Dadurch sollen feste Ansprechpartner*innen für diese Themen definiert werden.
  • Eine landesweite Präventionskampagne auf den Weg bringen. Sie schafft Bewusstsein , anti-stigmatisiert und vermittelt psychische, früh wirksame Gesundheitskompetenz. Die Kampagne sollte mit öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen wie beispielsweise einer ‚Woche der Einsamkeit‘ und einem Kongress zu dem Thema flankiert werden.
  • Die Stigmatisierung von Einsamkeit und sozialer Isolation soll abgebaut werden, indem die Themen öffentlich angesprochen, Hemmschwellen reduziert, Anlaufpunkte ausgebaut und bekannt gemacht werden.
  • Erstellung eines Einsamkeitsberichts und einer Studie, die sich mit den Folgen von Einsamkeit und sozialer Isolation beschäftigt sowie die Einrichtung einer Online-Plattform „NRW gegen Einsamkeit“. Hier sollen zum einen alle beteiligten Fachkräfte (z. B. Betroffene, Engagierte, Ärzt*innen, Lehrer*innen, Vereine, Unternehmen) Informationen zu Einsamkeit und sozialer Isolation und vor allem Möglichkeiten zur Vernetzung erhalten u.a. auch in anonymisierter Form.

Bildung

  • Mehr (Fach-)personal in Kitas, um Einsamkeit und Isolation schon bei jüngeren Kindern zu erkennen und zu begegnen.
  • Die Themen Achtsamkeit/Psychische Gesundheit/Glück im Unterricht und im Schulalltag behandeln, damit Schüler*innen frühzeitig Wissen und Kompetenzen vermittelt werden, um ein psychisch gesundes Leben zu führen und Resilienz gegen Einsamkeit aufzubauen.
  • In der Aus- und Weiterbildung von Lehrer*innen sowie von Schulsozialpädagog*innen die Themen Einsamkeit und soziale Isolation aufnehmen und an verwandte Themen anschließen.
  • Die Hochschulen und Allgemeine Studierendenausschüsse für die Themen Einsamkeit und soziale Isolation sensibilisieren und die Einrichtung besonderer Angebote anregen. Dazu soll geprüft werden, wie bereits bestehende Maßnahmen, wie z. B. Buddy- und Mentoringprogramme ausgebaut werden können.
  • Die Themen Einsamkeit, soziale Isolation und den Umgang damit stärker in die Aus- und Weiterbildung von medizinischem und pflegerischem Fachpersonal, sowie anderen einsamkeitsrelevanten Berufsgruppen wie z. B. Sozialarbeiter*innen integrieren.


Gesundheit

  • Das gesetzliche Kinderfrüherkennungsprogramm um Aspekte der psychischen Gesundheit erweitern und die Beratung der Eltern stärker einschließen.
  • Mehr zusätzliche Kassensitze für Psychotherapeut*innen sowie für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen schaffen.
  • Der Ausbau einer diversity-sensiblen Pflege, damit sich LSBTIQ*-Personen in Alten- und Pflegeeinrichtungen willkommen fühlen. Sensibilisierungen durch Fort- und Weiterbildung des Personals sowie Unterstützung von Diversity-Zertifikaten.

Verkehr und Infrastruktur

  • Den ÖPNV und Verkehrsinfrastrukturvorhaben weiter ausbauen und fördern, um möglichst auch ländliche Gebiete besser anzubinden
  • Öffentliche Treffpunkte wie Marktplätze, Skateparks, Spielplätze und öffentliche Einrichtungen wie Bibliotheken, Mehrzweckhallen etc. erhalten, pflegen und neue Angebote schaffen, die barrierefrei für jede*n zugänglich sind.


Engagement und Ehrenamt

  • Freiwillige Kurse für Übungsleiter*innen entwickeln, die für die Themen Einsamkeit und soziale Isolation sensibilisieren und das Thema Bewegung gegen Einsamkeit aufgreifen.
  • Die rechtlichen Rahmenbedingungen für das ehrenamtliche Engagement vereinfachen, sowie die Rechts- und Verwaltungsvorschriften verständlicher machen.

Gemeinsam mit der SPD und unseren Gutachter*innen haben wir drei Sondervoten eingebracht, da wir bei den folgenden für uns relevanten Punkten keinen Konsens aller Fraktionen herstellen konnten:

  • Armut als einen Treiber der Einsamkeit wirksam zu bekämpfen und dafür Armutsprävention auch als Vereinsamungsprävention verstehen und offensiv angehen. Beispielsweise im Bereich Kinderarmut durch die Einführung einer Kindergrundsicherung.
  • Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und prioritär zu behandeln, um Wohnungs- und Obdachlosigkeit entgegenzuwirken, damit Menschen in der Nähe zu bekannten sozialen Kontakten wohnen bleiben können, um  Einsamkeit vorzubeugen oder zu verhindern. Das Angebot an Sozialwohnungen auch für Menschen mit Behinderung in zentralen Wohnlagen ausbauen.
  • Ein Entgeltgleichheitsgesetz zu schaffen, durch das arbeitende Frauen möglichst das Gleiche verdienen wie Männer, um so die Altersarmut bei Frauen zu reduzieren.
  • Die Arbeitsmarktpolitik bei der Arbeitsvermittlung einsamkeitssensibel auszugestalten.

Im Anhang sind alle 65 Handlungsempfehlungen sowie die Sondervoten zu finden. Die beiden von der Enquete-Kommission in Auftrag gegebenen Gutachten zu dem Thema können hier abrufen werden.